Entschädigung nach AGG möglich
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat am 09.12.2021 (Az. 26 Sa 339/21) entschieden, dass Transsexualität zwar nicht ausdrücklich zu den in § 1 AGG genannten Gründen, an die das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG anknüpft, gehört. Transsexualität könne aber sowohl im Rahmen des in § 1 AGG angeführten Grundes "Geschlecht" als auch des Grundes "sexuelle Identität" von Bedeutung sein. Der Klägerin wurde daher eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG zugesprochen.
Der Fall
Die transsexuelle Klägerin ist bei ihrer Arbeitgeberin als Beraterin für akademische Berufe beschäftigt. Die Transsexualität der Klägerin war der Arbeitgeberin seit langem bekannt. Im Jahr 2019 teilte die Klägerin der Personalleitung mit, dass sie eine geschlechtsangleichende Operation plane und im Zeitraum vom 30.09.2019 bis 31.10.2019 zur Durchführung des Eingriffs arbeitsunfähig sein werde. Daraufhin teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 05.08.2019 mit, dass sie keine Entgeltfortzahlung leisten werde, wenn die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit selbst schuldhaft herbeiführe. Die geschlechtsangleichende Operation betreffe die individuelle Lebensgestaltung der Klägerin und stünde der Verpflichtung der Klägerin entgegen, ihre Gesundheit zu erhalten.
Die Klägerin erhob daraufhin Klage zum Arbeitsgericht wegen unmittelbrarer Diskriminierung und machte eine Entschädigung in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern geltend. Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage dem Grunde nach statt und sprach der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern zu. Gegen dieses Urteil legte die Arbeitgeberin Berufung zum Landesarbeitsgericht ein, die Klägerin schloss sich der Berufung durch Anschlussberufung bezüglich der Höhe der Entschädigung an.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Auch das Landesarbeitsgericht ging davon aus, dass die Klägerin durch das Schreiben vom 05.08.2019 von der Arbeitgeberin unmittelbar wegen ihrer Transsexualität diskriminiert worden sei. Die Arbeitgeberin habe gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG verstoßen.
Die Arbeitgeberin habe die Klägerin wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes diskriminiert. Zwar gehöre Transsexualität als solche nicht zu den in § 1 AGG genannten Gründen. Allerdings könne Transsexualität sowohl im Rahmen des dort genannten Grundes "Geschlecht" als auch des Grundes "sexuelle Indentität" von Bedeutung sein und sei daher von beiden Begriffen umfasst.
Die Klägerin habe ausreichend Indizien vorgetragen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass sie von der Arbeitgeberin auch als transsexuelle Person wahrgenommen und aus diesem Grund benachteiligt worden sei: Der Arbeitgeberin war die Transsexualität der Klägerin seit langem bekannt. Der Vorgesetzte der Klägerin war mittlerweile dazu übergegangen, die Klägerin in der weiblichen Form anzusprechen. Die Arbeitgeberin wusste aufgrund der Mitteilung der Klägerin zudem, dass sich diese einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen wollte. Das an die Klägerin gerichtete Schreiben vom 05.08.2019 zielte zudem ausdrücklich auf die vorliegende Konstellation ab. Es konnte von der Klägerin nur so verstanden werden, dass die geschlechtsangleichende Operation aus Sicht der Arbeitgeberin eine Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit nicht rechtfertigen werde. Dies reiche aus, um davon auszugehen, dass die Klägerin von der Arbeitgeberin aufgrund ihrer Transsexualität benachteiligt wurde.
Der Arbeitgeberin sei es nicht gelungen, diesen Eindruck zu widerlegen. Eine wirkliche Klarstellung sei durch sie nicht erfolgt. In einem weiteren Schreiben vom 29.08.2019 habe sie die Klägerin wider besseres Wissen sogar wieder mit der männlichen Form angesprochen. Dies habe die Klägerin als zusätzliche Provokation auffassen können.
Die Arbeitgeberin habe die Klägerin zudem auch nachteilig gegenüber anderen Arbeitnehmer*innen in vergleichbarer Lage behandelt. Zur Vergleichsgruppe würden alle Personen gehören, die die Arbeitgeberin über eine anstehende Operation informiert hatten. Die Arbeitgeberin hatte in derartigen Fällen keine vergleichbaren Hinweise auf eine ggf. entfallende Lohnfortzahlung vorgenommen. Das Schreiben vom 05.08.2019 sei daher eindeutig der konkreten Situation geschuldet gewesen.
Bezüglich der Höhe der zu zahlenden Entschädigung wies das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass bei dessen Festsetzung alle Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen seien. Die Entschädigung habe eine Doppelfunktion: Sie diene einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention. Zugunsten der Arbeitgeberin sei zu berücksichtigen, dass der Klägerin kein materieller Schaden entstanden sei. Allerdings handele es sich im vorliegenden Fall um eine umittelbare Diskriminierung der Klägerin. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Arbeitgeberin noch im Rahmen des Gerichtsverfahrens daran festgehalten hatte, eine zutreffende Erklärung abgegeben zu haben. Eine Wiederholungsgefahr sei daher nicht auszuschließen.
Letztlich erhöhte das Landesarbeitsgericht die Entschädigung auf zweieinhalb Bruttomonatseinkommen der Klägerin.
Fazit
Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass auch Transsexualität vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geschützt wird. Richtig und konsequent an der Entscheidung ist außerden, dass das Gericht eine geschlechtsangleichende Operation einer Person, die sich dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht nicht zugehörig fühlt, genau so zu behandeln ist wie jede andere medizinisch notwendige Operation. Indem die Arbeitgeberin versuchte, der Klägerin einen anderen Eindruck zu vermitteln, hat sie diese wegen ihrer Transsexualität diskriminiert. Besonders sticht in diesem Fall natürlich hervor, dass die Arbeitgeberin die Klägerin trotz des Wissens über deren Transsexualität weiterhin an "Herr" anredete. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin folgerichtig eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG zugesprochen.